Entlassungen wegen KI? – Was wirklich dahinter steckt
KI und die Gesellschaft KI im Arbeitsalltag Oct 31, 2025 8:30:00 AM Jörg Janßen 6 min read
Die Schlagzeilen überschlagen sich:
Amazon streicht 14.000 Stellen.
Chegg entlässt fast die Hälfte seiner Mitarbeiter.
Und fast immer steht ein Wort ganz oben in den Artikeln: Künstliche Intelligenz.
Doch stimmt das wirklich?
Oder wird KI gerade zum bequemen Sündenbock für wirtschaftliche Probleme, die schon länger bestehen?
1. Amazon – „Wir werden effizienter mit KI“
Anfang der Woche machten Leaks die Runde: Amazon plane, 30.000 Mitarbeiter zu entlassen – rund 10 % der Belegschaft.
Offiziell geworden sind es schließlich 14.000, also weniger, aber immer noch viel.
Begründung:
Man wolle „schlanker aufgestellt“ sein, um sich „besser auf das KI-Zeitalter einzustellen“.
Beth Kleti, Amazons Senior Vice President für People & Technology, formulierte es so:
„Diese Generation von KI ist die transformativste Technologie seit dem Internet.
Wir müssen uns so aufstellen, dass wir schneller, fokussierter und innovativer handeln können.“
Klingt nach Zukunft – ist aber auch ein klassisches Sparprogramm.
Denn Amazons Cloud-Geschäft, einst Wachstumstreiber, verlangsamt sich:
von 19 % Wachstum 2024 auf 18 % in 2025.
Microsoft Azure wächst dagegen doppelt so schnell.
Was wirklich passiert:
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Amazon rationalisiert Bereiche, die nach der Pandemie überbesetzt waren.
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Gleichzeitig werden Ressourcen in KI-Projekte umgeleitet, wo langfristig Effizienzgewinne erwartet werden.
KI ist hier nicht die Ursache, sondern die Begründung, um Restrukturierungen besser zu verkaufen.
2. Chegg – das erste echte KI-Opfer
Anders sieht es beim US-Bildungsunternehmen Chegg aus.
Hier ist KI tatsächlich der Auslöser – und zwar ChatGPT.
Chegg bot Online-Lernhilfe und Hausaufgaben-Support an.
Bis Schüler:innen merkten, dass ChatGPT dieselben Aufgaben kostenlos erledigt.
Das Ergebnis:
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Traffic und Umsätze brachen massiv ein.
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388 Mitarbeitende – 45 % der Belegschaft – verloren ihren Job.
Cheggs CEO sprach offen von den „neuen Realitäten der KI“.
Ein seltener Moment der Ehrlichkeit in der Branche.
Der Fall zeigt: KI verdrängt nicht nur Arbeit, sondern ganze Geschäftsmodelle,
wenn sie kostenlos oder deutlich günstiger dieselbe Leistung bietet.
3. Das größere Bild – weniger Junioren, mehr Senior-Stellen
Ein Harvard-Arbeitsbericht zeigt einen klaren Trend:
Seit 2023 sinkt die Zahl der Junior-Positionen – egal ob in Firmen mit oder ohne KI-Fokus.
Während Senior-Rollen stabil bleiben oder wachsen.
Das spricht für eine strukturelle Veränderung am Arbeitsmarkt:
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KI-Automatisierung ersetzt einfache Tätigkeiten.
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Unternehmen suchen erfahrene Kräfte, die KI-Tools strategisch einsetzen können.
Mit anderen Worten:
Nicht KI macht die Jobs überflüssig – sondern Menschen ohne KI-Kompetenzen.
4. Politik & Gesellschaft – der Druck wächst
Der Arbeitsmarkt verändert sich.
Noch langsam, aber sichtbar.
Politiker wie VC Ramaswami (Gouverneurskandidat in Ohio) fordern bereits neue Modelle,
damit Menschen am KI-Wachstum partizipieren können – etwa durch Beteiligungen.
Egal ob das funktioniert oder nicht:
Klar ist, dass Arbeitsmarktpolitik künftig auch KI-Politik sein wird.
Themen wie „KI ersetzt Jobs“ werden in Wahlkämpfen genauso präsent sein wie früher „Globalisierung“ oder „Automatisierung“.
5. Ein Blick auf die andere Seite – wo KI Jobs schafft
Während Amazon und Chegg Schlagzeilen machen, entstehen anderswo neue Rollen:
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Anthropic hat gerade seinen neuen „Claude for Excel“-Agent vorgestellt.
Erste Tests zeigen Produktivitätssteigerungen um 20 % –
das entspricht über 200.000 Arbeitsstunden Einsparung bei Norfund, dem norwegischen Staatsfonds. -
AIG berichtet, dass KI den Prüfungsprozess um das Fünffache beschleunigt und
gleichzeitig die Genauigkeit von 75 % auf über 90 % verbessert. -
Und mit neuen Tools wie Claude Skills oder Microsoft Copilot Agents
entstehen plötzlich Berufe, die es vor einem Jahr noch gar nicht gab:
Prompt Designer, AI Workflow Manager, KI-Analysten.
6. Fazit – zwischen Realität und Rhetorik
Ja, KI verändert den Arbeitsmarkt.
Aber: Sie ist nicht automatisch der Schuldige für jede Kündigung.
Oft wird KI genutzt, um unpopuläre Entscheidungen zu rechtfertigen.
Oder um Aktionären zu zeigen, dass man „modern und zukunftsorientiert“ ist.
Doch die Wahrheit ist komplexer:
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In manchen Branchen (Bildung, Support, Medien) ersetzt KI direkt Aufgaben.
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In anderen (Industrie, Verwaltung, Beratung) verschiebt sie Arbeit –
von Routine zu Strategie, von Ausführung zu Steuerung.
💡 Mein Fazit:
KI ist kein Jobkiller, sondern ein Kompetenzbeschleuniger.
Wer lernt, sie richtig einzusetzen, wird gebraucht – nicht ersetzt.
Darum:
Statt Angst vor Entlassungen, lieber Fokus auf Weiterbildung.
Denn die neuen Gewinner im Arbeitsmarkt werden nicht diejenigen sein,
die KI vermeiden – sondern diejenigen, die sie führen können.